Ansprache von Steffen Blunk vom 18.03.2018
Fläche - Linie - Licht
Vera Oxfort und ich haben uns bei unserem gemeinsamen Studium an der Akademie für Malerei in Berlin kennengelernt. Wir sind beide, ich hoffe, ich darf das so sagen, spätberufene Künstler und haben die Kunst, die Malerei, zu unserem Zweit- oder Drittberuf gemacht. Aus meiner Sicht birgt diese späte Entscheidung für ein Kunststudium und den darauffolgenden beruflichen Umschwung einige große Vorteile: man ist ein bisschen abgeklärter und unterliegt nicht ganz so den Irrungen und Wirrungen, denen manch ein genialisches Künstlergenie unterworfen ist, das schon mit sechs Jahren wusste, dass es Kunstgeschichte schreiben würde. In der Folge konzentriert sich der ältere Berufsumsteiger unter Umständen viel stärker auf die Ausarbeitung seines Werkes, als der jüngere Kollege.
Bei Vera führt das zu einer Reife der malerischen Arbeit, die man heutzutage leider nicht allzu oft antrifft. In einer Zeit, in der marktschreierische, schrille Oberflächlichkeit sich gut zu verkaufen weiß, setzt Vera auf eine Tiefe, die die intensive Auseinandersetzung mit den Bildern fordert.
Tatsächlich sind die Arbeiten von Vera Oxfort hoch provokativ. Lassen Sie mich das bitte erklären: ich bin mir bewusst, dass viele Betrachter in einem schnellen Urteil sagen können: „Naja, da ist ja gar nichts drauf.“ Oder: „Das kann ich auch“. Um das Werk Veras zu entschlüsseln, muss ich mir als Betrachter Zeit lassen und meine Sinne öffnen.
Bin ich dazu bereit, werde ich spüren, dass mich, allem voran die Malerei, förmlich beginnt aufzusaugen, mich in sich einzunehmen. Die Bilder bekommen etwas Hypnotisches, dem bei aller Friedlichkeit der Oberfläche eine oft aggressive Tiefschichtigkeit zu eigen ist. Eine fremde Welt eröffnet sich dem, die sich dieser Malerei hingibt, eine Welt voller Schönheit, bei der dennoch stets etwas hinter der nächsten Ecke zu lauern scheint. Dass müssen Sie als Maler erst einmal hinbekommen – wohlgemerkt mit einer reinen Malerei ohne inhaltliches Ergebnis. Da ist ja keine Landschaft zu sehen, kein Mensch, nichts Greifbares. Wir müssen uns auf unsere Instinkte verlassen, ein bisschen als stünden wir im Nebel. Und Nebel, wenn wir denn von ihm umgeben sind, wirft uns immer auf unser ursprünglichstes zurück: unseren Instinkt, der stets zwischen der Frage entscheiden muss: soll ich angreifen oder fliehen. Beschützt uns unser Instinkt? Können wir ihm trauen?
Vera Oxfort erreicht diese Tiefe mit einer eigenen und eigens entwickelten Technik, bei der sie mit der einen Hand zeichnet, während die andere Hand das gezeichnete schon wieder übermalt. Sie legt Schicht um Schicht an Zeichnung und gemalter Fläche übereinander, bis die Linie ganz in der Fläche aufzugehen scheint, unter der Oberfläche aber eben immer noch spürbar - selten sichtbar! - existiert.
Dass sie nicht nur eine außergewöhnliche Malerin ist, sondern eine ebenso außergewöhnliche Zeichnerin, sehen Sie im zweiten Teil ihres hier gezeigten Werkes, den Zeichnungen. Auch hier legt sie Schicht für Schicht – diesmal Linien – übereinander, bis der Betrachter verwirrt innehalten muss, um sich zu vergegenwärtigen, was er da eigentlich sieht. Und oft genug steht er auch hier wieder im Nebel.